Freitag, 5. April 2024

Die Geschichte des Puppenhauses - The history of the dollhouse


Das Puppenhaus hat wohl in Deutschland seinen Ursprung.
Frauen der gesellschaftlichen Elite in den überwiegend protestantischen Ländern Europas 
sammelten seit dem 17. Jahrhundert Puppenstuben
 und bewahrten damit ein ungewöhnliches Kulturdokument, 
"ein realistisches, dreidimensionales Bild ... des häuslichen Lebens" ihrer Zeit. 
Diese Miniaturen mit ihren Darstellungen von 
Küchen, Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmern 
zeigen vor allem das Leben der Frauen.
 
Miniaturen waren auch ein wichtiger Teil
 der frühen modernen europäischen Sammlungen.
Diese Kuriositäten-Kabinette fanden sich beim Adel und im reichen Bürgertum 
und sollten Reichtum und Wissen demonstrieren.
Dollhouses collected by social elite women in Protestant-majority Europe
 provide a glimpse into domestic life and the tastes of their owners.
 
Annette C. Cremer: Utopia in small scale – female escapism into miniature, in: 
Women`s History Magazine, Nr. 63, (2/2010), S. 4-10 (Cover & Titelstory)
 
 Das älteste Puppenhaus, das wir kennen,
 ist nur durch ein ausführliches Inventarverzeichnis überliefert: 
Das Puppenhaus der Herzogin Anna von Österreich,
 der Gemahlin Albrechts V. von Bayern
wurde 1598 in der Münchner Kunstkammer von Fickler mitsamt seinem Inhalt inventarisiert. 
es wurde 1558 bei Künstlern und Handwerkern desMünchner Hofs in Auftrag gegeben.
Es ist nicht erhalten und dürfte die Plünderung
durch die Schweden 1632
nicht überstanden haben.
The oldest doll's house that we know of,
 is only preserved in a detailed inventory:
The doll's house of Duchess Anna of Austria,
was inventoried in 1598 in the Munich Kunstkammer by Fickler together with its contents.
It was commissioned from artists and craftsmen of the Munich court in 1558.



Leonie Wilckens "Das Puppenhaus"
Die Puppenstadt Mon Plaisir

 Vier Puppenhäuser im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg aus dem 17.Jh.
können dagegen noch bewundert werden,
zum Beispiel
 
Bis noch im 18. Jh waren diese Puppenhäuser eine Modeerscheinung der begüterten Schichten,
 Schaustücke, aber auch Mittel der ästhetischen Erziehung 
und praktischen Unterweisung der Töchter in Haushaltsführung.

 Auch in England und den Niederlanden sind solche Puppenhäuser erhalten geblieben, 
also nur in protestantischen Gegenden.
Fast nur Frauen haben Puppenhäuser gesammelt, 
 ausgestattet und meist an ihre engsten weiblichen Nachkommen vererbt.
 Zum Beispiel:
1700 Ann Sharps Puppenhaus (Norwich), ein Geschenk von Queen Anne.
 Und das berühmteste ist sicher
Queen Marys Puppenhaus aus den 1920er Jahren.

Four doll's houses in the Germanic National Museum in Nuremberg from the 17th cent.
can still be admired,
for example
 1639 Stromersches Puppenhaus
Up until the 18th century, these doll's houses were a fashion among the wealthy classes.
 Such doll's houses have also been preserved in England and the Netherlands,
so only in Protestant areas.
Almost only women collected doll's houses, e.g.
1700 Ann Sharp's doll's house (Norwich), a gift from Queen Anne.
 And the most famous is certainly
Queen Mary's doll's house from the 1920s.


 
  Echoes of Remembered Rooms. Vol 1
"These extraordinary objects from the 19th and early 20th century 
are a testament to one woman's vision of a perfect past", says Florence Theriault.
 
 

 The ‘successful’ mother – nursery in the dollhouse

The experiences of pregnancy, birth and motherhood, 
accompanied by the frequent experience of death,
 are repeatedly referenced in child-bed scenes and nurseries. 
Several women collectors were childless and had thus “failed” at motherhood. 
When the rooms referring to motherhood were conceptualised by young women,
 the depictions recorded female family history 
or were supposed to anticipate motherhood in the future,
 while nurseries constructed by elderly mothers might remember the happy days 
when the children were small, 
or nurseries made by childless widows could compensate for their failure or loss. 
 
Annette C. Cremer: Utopia in small scale – female escapism into miniature, in: Women`s History Magazine, Nr. 63, (2/2010), S. 4-10 (Cover & Titelstory) 


 Erst ab dem 19. Jahrhundert wurde aus dem Erwachsenen-Hobby 
auch ein Spielzeug für Mädchen, das ihrer Bildung dienen sollte.
 (Sinn für Häuslichkeit - Pflichten der Hausfrau)
It was only from the 19th century onwards that the adult hobby
became a toy for girls that was intended to serve their education.
 (Sense of domesticity - duties of the housewife)


 
In the catalogue of goods of the
Nuremberg gallantry merchant Georg Hieronimus Bestelmeier
from 1803,
1111 items from his assortment are labelled with a number,
 described in detail and illustrated in copper engravings.
In addition to useful household objects and
luxurious furnishings, we see above all toys.
It is aimed at distinguished society, who want to entertain and amuse themselves,
 but also wanted to be educated.
Children and adults were introduced to the big wide world
 with all that is familiar and strange in a miniaturised form.

 
Im Warenverzeichnis des Nürnberger 
Galanteriewarenhändlers Georg Hieronimus Bestelmeier
- zu der Zeit der bedeutendste Spielwarenhändler in Deutschland -
von 1803
sind 1111 Stücke seines Sortiments mit einer Nummer versehen,
 ausführlich beschrieben und im Abbildungsteil in Kupfer gestochen bildlich dargestellt.
Neben nützlichen Haushaltsgegenständen und 
luxuriösen Ausstattungsgegenständen sehen wir vor allem Spielzeug.
Es richtet sich an die vornehme Gesellschaft, die sich unterhalten und amüsieren will,
 aber auch auch gerne belehrt werden möchte.
Kindern und Erwachsenen wurde die große weite Welt
 mit allem Vertrauten und Merkwürdigen in verkleinerter Form angeboten.
Die Faszination für Technik und Spielzeug als Lehrmittel
waren für die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts schnell wachsende Spielzeugindustrie 
die beiden gewinnbringenden Faktoren.
 
 
 
No. 815. Ein großes Dockenhaus, 
24 Zoll lang, 20 Zoll hoch, und 11 Zoll tief, 
die vordere Wand desselben, welche mit Glasfenstern und Vorhängen versehen ist,
 kann man auf und zuschieben,
 damit Kinder inwendig das Meublement in Ordnung stellen, 
und damit spielen können. 
Das Haus selbst einthält ein schön meubliertes Zimmer mit Tisch, Sesseln, Sofa und Spiegeln,
 neben daran eine Schlafkammer mit Vorhängbett, Tisch und Sesseln, 
ferner neben dem Zimmer eine Küche, mit der ganzen Einrichtung, 
unten ist der Stall, nebst 2 Pferden und eine niedliche Kutsche, 
woran man diese Pferde spannen kann, 
dazu kommt das Domestiquen-Zimmer, darinnen sind Bett, Tisch und Stühle. 
Figuren befinden sich in diesem Haus
 1 Herr, 1 Dame, eine Köchin, 1 Bedienter und 1 Kutscher,
 die Zimmer sind alle auf Tapetenart, 
mit Borduren und schön gemahlt. 
Kostet mit der Kiste 21 fl"
 

 
 "No. 835. Ein kleineres Puppenhaus,
 24  Zoll lang, 10 Zoll hoch, und 9 Zoll tief, 
damit Kinder ordentlich damit spielen, 
und alles was in demselben ist herausnehmen können, 
so kann man die vordere Wand, 
welche mit Glasfenstern versehen ist, ganz herausziehen,
 inwendig ist sodann eine eingerichtete Küche,
 ein schön tapeziertes Zimmer mit Tisch, Sesseln, Sofa, Spiegeln und Konsolen,
 sodann ein Schlafzimmer mit Vorhängbett, und Tisch und Sesseln. 8 fl 15 fr"
 
 
Von der
sparsam möblierten Biedermeierstube,
 über das überladene Wohnzimmer im historischen altdeutschen Stil, 
zur eleganten Atmosphäre eines Jugendstilsalons
 
From the
sparsely furnished Biedermeier parlour,
 to the overloaded living room in the historic old German style,
to the elegant atmosphere of an art nouveau salon
 

 
Biedermeierliche Puppenstuben sind meist gemütlich eingerichtet. 
Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts überwiegt die Wohnzimmeridylle.
 Ein wichtiges Möbelstück ist der Sekretär, um Briefe zu verfassen.
 Eher schlicht und einfach, solide und zweckmäßig, ist die Einrichtung.
 Oft gibt es noch einen zweiten Raum, das Schlafzimmer,
 was im Jahrhundert davor nicht selbstverständlich war, 
da stand das Himmelbett oft inmitten eines Mehrzweckraums,
 aber neue Scham- und Peinlichkeitsgefühle, 
Moralität, Anstand änderten auch die Wohnkultur.
 
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts werden die Einrichtungen aufwändiger.
 Es wird mehr Geld für Komfort ausgegeben.
Möbel sind nicht mehr nur zweckmäßig sondern auch Prestigeobjekte, 
die soziale Position wird auch durch den Wohnstil gezeigt. 
Zum Saloninventar gehören auch Instrumente für die Hausmusik,
z.B. das Klavier für die Erziehung der höheren Töchter,
 Bücherschränke, ab 1870 Gipsbüsten der deutschen Geistesgrößen
 - Kultur als Statussymbol. 
 
 
 
 
In den Gründerjahren finden wir dann regelrechte Luxusszenarien.
Beispiele sind die Gardinen und der Kronleuchterkult.
Wie im wirklichen Leben erforderte die Pflege einen großen Aufwand.
 
 

Das Puppenpersonal wird auch dadurch immer zahlreicher.
Stramme Offiziere zeigen die Militärbegeisterung im Kaiserreich.
Der Kolonialismus spiegelt sich auch in den Interieurs.
Zeittypisches Dekor sind Perserteppich, Ottomane, Diwan, Stechpalme und Papyrus. 
Der Hauch von Exotik kommt auch gerne durch einen Papageienkäfig in die Puppenstube. 

Since the middle of the 19. century, we then find downright luxury scenarios.
Examples include the curtains and the cult of the chandelier.
As in real life, these households required a great deal of effort.
 As a result, the dolls' personnel became more and more numerous.
Dolls of dashing officers show the military enthusiasm in the empire.
Colonialism is also reflected in the interiors.
Persian carpets, ottomans, divans, holly and papyrus are typical of the period.
A touch of the exotic can also be found in the doll's house in the form of a parrot cage.
 

Der Kulturfortschritt wird vor allem durch die Technikerrungenschaften
 in der Küche hervorgehoben,
aber auch durch den Heizradiator, den Dauerbrandofen,
 die Elektrolampe, das Telefon, die Badewanne.
 
 

 
 In den 1870er Jahren waren die Illustrierten voll mit Anzeigen, die Hausgeräte aller Art anpriesen,
 ab 1880 gab es  Imitationen von Wasserleitungen und Spülbecken in den Puppenküchen, 
ab 1900 Elektroherde, Nähmaschinen, Eiskästen, Waschapparate und Heißmangeln,

Ab etwa 1820 verabschiedeten sich die Küchen aus dem Puppenhaus,
 sie verselbständigten sich,
 wurden etwas größer im Maßstab als die Puppenstuben, 
und waren unmittelbar auf das Erlernen des Haushalts ausgerichtet.
 Dafür durften die Geräte nicht allzu winzig sein,
 dann konnte besser geübt werden.
Das Butterfass, die Wursttopfmachine, der Hackklotz mit Beil, 
der kleine Hühnerstall mit Gänsen und Hühnern - 
sie verschwanden um 1900 in den Puppenküchen. 
Die Speisezubereitung ist auf Kochen und Anrichten beschränkt,
 was man braucht wird eingekauft.
 
 

 
Erst im 19.Jh kommen einzelne Puppenküchen mit Blechherd
 und der entsprechenden Beheizung,
 sowie  Puppenstuben für die werktätigen Schichten auf dem Spielzeugmarkt.




Seit der zweiten Hälfte des 19.Jh. sehen wir kleine hölzerne Gliederpuppen als Bewohner,
dann kam die Porzellanpuppe.
Die Keramik in der Puppenherstellung führte dazu,
 dass Puppen in einer großen Variationsbreite entstanden.
Kopf, Arme, Beine, glasiert und unglasiert, 
konnten an einem Körper befestigt werden,
 der auf der Basis von Holz mit z.B. Leder ausgepolstert war. 
 


 
 
Ein Zentrum der Puppenhausherstellung war um 1900
in Deutschland mit den Firmen
Christian Hacker, Moritz Gottschalk und Albin Schönherr,
deren Puppenhäuser in alle Welt exportiert wurden.
Nach dem Ersten Weltkrieg konnte an diese glorreiche Zeit nicht mehr angeknüpft werden.

In den unmittelbaren Nachkriegsjahren des Zweiten Weltkriegs 
war zunächst wegen Materialmangel nur Export von Spielzeug möglich(Schildkröt).
 

 
 Die Kinder sind auf Selbstgebasteltes angewiesen.
Der 50er Zeitgeist verlangt dann "sinnvolles" Spiel.
 
 
 
In den Puppenstuben sehen wir ab Ende der Fünfziger das typische pastellfarbene Wohnambiente.
Genauso wie neue Möbelformen wie Couchtisch, Fernsehschrank, 
Klappbett oder Frisierkommode.
Aber auch neue Materialien wie Bugholz, Korb, Stahlrohr und Plastik 
wurden in den Spielzeugmöbeln aufgegriffen. 
 
 
 
Die 60er repräsentieren weiter den uneingeschränkten Glauben an den Fortschritt.
 
Die 70er sehen erst Kunststoff in grellen Farben und dann die rustikale Bauernstube, die am Ende des Jahrzehnts von der modisch ausgestatteten IKEA-Wohnung abgelöst wird.
 
Die 1990er bringen weiter gesellschaftliche Veränderungen, die den Spielzeugmarkt beeinflussen.

Zum Beispiel endet die Kindheit nun früh, mit etwa 12 Jahren, 
danach stehen Handys, elektronische Ausstattung und Markenkleidung im Mittelpunkt. 
Mit Puppenhäusern spielen kaum noch Mädchen über 10 Jahren. 
Dass das Puppenspielen soziale Kompetenz und Kreativität fördert, interessiert nicht mehr.
 
Die Erwachsenen werden dagegen kindlicher, spielen sie mehr als Kinder? 
Bei Bodo Hennig werden im Jahr 2000 die Hälfte der Miniaturen von Sammlern gekauft. 
Holen sich alte Damen ihre Kindheit zurück, die damals von Krieg und Not überschattet war?
 
The 1990s brought further social changes that influenced the toy market.
Hardly any girls over the age of 10 still play with dolls' houses.
At Bodo Hennig, half of the miniatures are bought by collectors in the year 2000.
Are old ladies recapturing their childhood, which was overshadowed by war and hardship?
 
 (Gaschke, Susanne: Die neuen Lehrer. In: Die Zeit 2000,51)
 
 
 
Building and collecting dollhouses is a very popular hobby in today‘s Englishspeaking world. 
Countless handbooks explain how to “do it yourself,” 
what to collect and what you may have to spend on your hobby...
 It offered a platform for fantasy and play, 
activated by the possibility of conveying identity
to the dolls and the narrative capacities of the miniature items.
It created a sphere in which women remembered past times, 
compensated themselves for losses
and reinvented themselves in a space 
they could occupy regardless of convention.
 It became a utopia in which a woman and her family would remain young
and healthy, and where unfulfilled hopes could come true.

Annette C. Cremer: Utopia in small scale – female escapism into miniature, in: Women`s History Magazine, Nr. 63, (2/2010), S. 4-10 (Cover & Titelstory)

Die Welt der Erwachsenen bis ins Detail nachzubilden - 
diese Möglichkeit fasziniert an Puppenstuben und ihrem Mobiliar. 
Beides ermöglicht im Kleinen einen Einblick in die
 bürgerliche Wohnkultur vom Biedermeier bis heute.
  Recreating the world of adults down to the last detail - 
this is possible when collecting doll's houses and their furniture.
Both provide a small-scale insight into bourgeois living culture 
from the Biedermeier period to the present day.
 
 
Durch den pädagogischen Impetus, die Schnellebigkeit und, was die Pro-
dukte anbelangt, Aktualität dieser Welt im Kleinen sind Spielwaren hervorra-
gende Zeugen des Zeitgeistes.
Hoffmann, Heike: Erziehung zur Moderne.


Literatur:
Annette C. Cremer: Utopia in small scale – female escapism into miniature, in: Women`s History Magazine, Nr. 63, (2/2010), S. 4-10 (Cover & Titelstory)
Fritzsch, Karl Ewald: Deutsches Spielzeug. 1965
Gaschke, Susanne: Die neuen Lehrer. In: Die Zeit 2000,51 
Hillier, Mary: Puppen und Puppenmacher.
Korff, Gottfried: Puppenstuben als Spiegel bürgerlicher Wohnkultur. In: Wohnen im Wandel. Hrsg. von Lutz Niethammer. Wuppertal 1979. S. 28-43
 


 
 
 
 
  Wenn nicht anders vermerkt, sind alle Fotos aus meiner Sammlung
diePuppenstubensammlerin
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